AKTUELL – Leseprobe aus „Rauchzeichen“ (Arbeitstitel)

Pietro der Heldentenor den alle Welt als Peter Buchstab kennt & nur von Freunden oder sagen wir näher Bekannten Pietro genannt wird weil ein Tenor einen italienischen Namen haben muss liegt schwach nicht der Erschöpfung wegen neben Anne Er streichelt die helle Haut weicher als die Haut der Männer die die Mächte seiner Geilheit versöhnt Es stimmt alles Objektiv betrachtet (eine derartige Betrachtung ist mir vielleicht möglich) kommt Pietro nicht umhin sein Leben auch jenseits seiner geliebten Bahnen den Bühnen dieser Welt als glücklich anzusehen zumindest als ein Dasein dessen Verwirklichung einer Konzeption gelang ich wiederhole gelang & doch nimmt dieses Streicheln das Lachen sein eigenes & noch stechender als wären seine Hände blutige Krallen die Beute tot das Annes Verloren Früher als Kind verlor Anne gerne Sie erinnert sich daran wie sie abends in den Ferien mit Vater Mutter & Onkel Martin Karten spielte & der Verlierer am nächsten Morgen Brötchen holen musste durfte & wie es ihr Anne gelang diese Frische & Ruhe des begonnenen Tages über all die Jahre zu erhalten Das Kartenspiel gibt es nicht mehr Hobby Zeitvertreib Das Bewusstsein hat die Worte zu schrecklichen Gebilden & Welten deformiert In Ersterem schwingt ein beabsichtigter Dilettantismus mit eine stümperhafte halbherzige Beschäftigung für die per se weniger Zeit bleibt als für Beruf Ziel ist es eine gewisse Befriedigung zu erreichen & diese mit Hilfe von Illusionen ihrer Flüchtigkeit zu berauben Bei Letzterem bleiben Illusionen aus Es geht nur darum die Leiden im nackten Dasein beiseite zu schieben Annes Haut hat das Andere das Anständige das ihn Pietro beruhigt Kräfte in ständigem Widerstreit Natürlich sind nicht alle Frauen wie Anne natürlich gibt es auch Männer Jungen wie Anne Aber wie konnte überhaupt ein Mann eine Frau eine Person seine Begierden seine Sehnsüchte & sich selbst dauerhaft versorgen & wie konnte er das erwarten
[…]
Vor dem eigenen Vergessen & Fressen bleibt Sam der Geheimnisvolle der Geschichtentreiber verschlossen offen für Illusionen Spekulationen Wie lange lebt Anne nun schon in H. & noch immer hat H. ihr nichts weiter als eine 1-Zi.-Whg. in einem Haus voller 1- 2- & weniger 3-Zi.-Whg. zu bieten (abgesehen von einem grünen Briefchen den Frau Haupt kürzlich erhielt) Sicher es gab Pietro es gab sein Schloss aber es gab sie beide auch nicht Eine Abbreviatur ist A. wie die Luftschlösser & wie der karge Brief der sie erreichte Was will soll das Papier das aus der Anonymität gekommen war dort blieb & bleibt Welch ein Riese der aus dieser Frage emporstieg schnell emporstieg in den Himmel ragte & keine Anstalten machte den Kopf herunter zu beugen & zu sprechen Hätte der Brief in dieser Form nicht an Kafka adressiert sein können An K. Kafka selbst kürzte indem er das Zerstreute auf einen . zusammenkehrte um jenen wieder zerstreuen zu lassen Die größtmögliche aller Welten muss in einem . sein Keineswegs karg Was ist hinter dem . Sam
Was bietet A. H. Ihrer eigenen Meinung nach hat sie nichts zu bieten da selten etwas beginnt & nichts fertig wird Sie selbst alles um sie herum bleibt auf einer holprigen Strecke Sie hat es sich so eingerichtet Das Problem besteht nicht erst darin dass A. latente Perfektionistin ist & nicht 1mal in der Tatsache dass die ausgesprochene Hundertprozentigkeit die sie stets anstrebt eine unerreichbar hohe Messlatte darstellt (Der Riese hält sie sie ist nicht 1mal sichtbar) sondern schon im Scheitern des Perfektibilismus an den A. lange Zeit glaubte Mit welcher Geschwindigkeit sie auch fortschreitet die zunehmende Globalisierung bringt sie uns zum Ende Im Werden von Größe liegt unsere Verkleinerung An sich wächst die Paradoxität wenn von einem Wir gesprochen wird Aber es ist so Das Wir stirbt genauso wie die Iche Wenn man so will wird das Höchstindividuelle das wir uns freilich nicht so vorstellen Mörder Motiv Geldgier Tatwaffe alles zugleich sein ein einziger namhaft genannter namenloser Riesenkonzern ein Es
Selbst Anne & Annegret wissen nicht ob sie Annäherungsversuche unternommen haben Sie wissen es nicht & schweigen Anne atmet tief durch In sich hinein Die erdigen Gerüche des klaren Herbstes der entblößt um Boden zu geben die immer wieder vergessenen & gleich wieder vertrauten liebenswerten Gesichter ihrer Kindheit fassen sie an sanft verständnisvoll & lächelnd Sie lebt Nur in diesem kurzen Augenblick Pause Standbild
[…]
Im Haus muss es noch einen Schriftsteller geben Anne erfuhr es von diesen zwei schwatzenden Weibern die mit schrecklich gemusterten Schürzen verhüllt & bewaffnet zugleich so oft im Hausflur verweilen dass man durchaus meinen kann sie seien dort zuhause als diese nicht rechtzeitig verstummt waren wie sie das immer tun sobald sie Anne erblicken Anfangs grüßten sie freundlich & nachdem Anne den Gruß nicht erwiderte lächelten sie eine Weile lang lächelten gedehnt als könnte 1 Lächeln hervorholen was Blicke Worte nicht schaffen Dann verschwanden sowohl die horizontalen als auch die vertikalen Verzerrungen der Münder Das Zwielichtige konnten die Träger der Münder nicht hüten Es würde den Schriftsteller zu Neuem animieren Dessen war sich Anne sicher Was aber würde er sich dann zum Thema machen Könnte es sie betreffen Anne weiß nicht wie der Schriftsteller wenn es ihn wirklich gibt heißt wie er aussieht wo er genau wohnt was er schreibt & schon gar nicht warum sie das interessiert wo sie doch fast nichts interessiert Ihr war schon als Kind schnell langweilig da wusste sie nur noch nicht dass Langeweile ein Großteil der Existenz ausmacht Das Haus ist nicht groß aber offensichtlich anonym genug Und wenn der Überbringer des Briefes dieser Schriftsteller war um ein bestimmtes soziales Verhalten zu erforschen Anne ist sich sicher dass sie von niemandem Pietro eingeschlossen verehrt wird Der Schriftsteller ahnt es & hat sie deshalb zum Versuchssubjekt erkoren Aber nein In dieser Hinsicht bleiben Schriftsteller gerne fiktiv Jedenfalls will sie als Leserin sich diese Illusion bewahren Viel eher glaubt sie daran dass eine beliebte Romanfigur der Tod begonnen hat schriftlich mit ihr zu verkehren Das würde einen Sinn geben Der Tod würde sie Frau Haupt verehren

„SeelenLos und ein Dutzend weiterer Miniaturen“, printyourbook, Untermeitingen, 2005

SeelenLosSeelenLos umfasst Miniaturen, die von einem unscharfen, eher unbekannten Gegenüber, von einem Los der Seelen, geprägt sind.
Die Protagonisten setzen kaum wahrnehmbare Grenzen zwischen Innen und Außen und befinden sich sogleich darauf. Ihre Blickweiten bestimmen den Fundus für das Lebensmaterial, das es in seinem Wesen, in seiner Unordnung und seiner schieren stummen Gewalt zu beschreiben gilt, um Gegenkräfte frei zu setzen und schweben zu lassen. Keine Handlungen für eine erdverbundene Stimme! Gerade das Unausgesprochene und für unaussprechbar Gehaltene soll seinen Platz finden!
SeelenLos ist die Darstellung der Moderne: Unser Empfinden der Zeit stellt sich als Sieger dar. Die Verlierenden, die Verlorenen, der Verlust sprechen.
„Die Zeit, ach die Zeit webt, webt und wartet feige in der sicheren Ritze hinter den heimtückisch klebrigen Fäden auf den Moment, mit ihren Spinnenbeinchen im eigenen stillen und trockenen Revier auf die Beute zuzukrabbeln, zuzugreifen, zu betäuben, und, längst wieder im dunklen Spalt, zu verzehren.“

Leseprobe:

treib gut

Die Angabe, sich auf dem Meer zu befinden, ist zweifellos ungenau. Allerdings trifft in meinem, in unserem Fall nichts Anderes zu. Ich ergänze, dass ich mich in einer Flasche aufhalte, nein, enthalte und wir, meine Flasche und ich, lange schon in der Monotonie dahinschaukeln. Zudem schwäche ich nun mein eben noch gebrauchtes befinden ab und sage besser, dass wir, meine Flasche und ich, auf dem Meer treiben. Das war`s.
Alt sind wir, meine Flasche und ich, wie das Meer, aber zeitliche Angaben sind unwichtig geworden. Die Zeit, ach die Zeit webt, webt und wartet feige in der sicheren Ritze hinter den heimtückisch klebrigen Fäden auf den Moment, mit ihren Spinnenbeinchen im eigenen stillen und trockenen Revier schnell auf die Beute zuzukrabbeln, zuzugreifen, zu betäuben und, längst wieder im dunklen Spalt, zu verzehren. Die hinterhältige Zeit braucht schäbige Netze, um ihre Überlegenheit und in ihrem Überlebensdrang für einen wiederkehrenden Moment, nur für einen Moment, sich selbst sichtbar zu machen. Das gehört unserer Vergangenheit an. Wir wollen nicht mehr sehen und schon gar nicht Spinnenbeinchen bewegen. Und wir, meine Flasche und ich, wir müssen nicht. In unserer Nähe sind weder Ritzen noch Trockenheit. Wir treiben auf dem Meer. Das ist alles. Und dieses Meer? Ist Meer nicht Meer sowie All All? Welche andere Bedeutung als die der Fügung in ein Verschlungensein könnte uns das in alle Weite umgebende Meer, egal welches Meer, denn geben? Wie soll ich nur unsere Ewigkeit, unseren Enthaltungsort konkretisieren?
Ich bin nicht nur Geist, wie nun vielleicht vermutet werden könnte, sondern auch Körper, sagen wir leibhaftige Post, die nicht ankommen will, weil sie nicht daran glaubt, anzukommen, ja sogar im Hinblick auf das Ankommen überhaupt keine Vorstellungen, sondern nur Ahnungen in vagen Konturen mit auf den Weg bekommen hat. Schon da, in dieser immer ungefähren Vergangenheit, hat alle Ungenauigkeit angefangen. Mein Geist, in einen Körper gepackt und zugeklebt, schien nur die Notwendigkeit des bloßen Daseins auszuüben. Diese aber beharrlich, selbst, eher gerade in meiner Flasche. Den Körper glaubte ich erwähnen zu müssen, um Verwunderungen, die auf Unkenntnis über dessen Existenz zurückzuführen sind, zu vermeiden. In meinen Ausführungen sollen die Regungen desselben aber weitest gehend unbeachtet bleiben.
Meine Flasche ist nicht größer oder zauberhafter als die, die man aus Märchen kennt. Und ich bin auch kein Gespenst, dessen Zuhause eine Flasche ist. Selbst meinem märchenhaftesten Ich traue ich nicht zu, sich sofort, nachdem die Flasche geöffnet werden würde, zu einer Größe aufschwingen zu können, die in der Lage wäre, das Wirkliche in Furcht zu versetzen. Wenn wir mal von den Fragen absehen wollen, wie ich winzig geworden, in eine Flasche und sodann auf das Meer geraten bin, die ich ohnehin nicht beantworten kann, dann sind wir, meine Flasche und ich, ein gewöhnliches Paar wie ihr Hörenden und ich, der euch erzählt. Da ist kein Zauber im Spiel. Ich breite noch nicht einmal ein Spiel aus. Dazu ist es in meiner Flasche auch zu eng. Wir befinden uns in keinem Märchen. Meine Flasche und ich lassen befinden. Sein. Treiben auf dem Meer.
In meiner Flasche ist außer mir nichts. Niemand. Und die sich außerhalb Befindenden sehen. Nicht. Mich. Uns. Zu. Ich werde den Verdacht ihres dem Sehen zwar verwandten, aber mir stets andersartig vorkommenden, zeitweise gierigen, manchmal weit mehr, manchmal weit weniger als die Augen sättigenden Eindringens nicht los. Meine Flasche mag ein Bild der Freiheit hervorrufen. Die da, dort oben auf dem Schiff, wollen außerhalb ihres Hafens, eines Hafens überhaupt, der Langeweile des Meeres und seines Wellendahinganges entgehen. Und trotzdem meine Flasche so klein ist und ich noch kleiner, winzig bin, und trotzdem die übermächtigen Wellen uns zwingen, zitternd aus dem Blickfeld zu hüpfen, glitzert die zu ertrinken anmutende Glasfläche um mich herum stärker als der Meeresspiegel und rückt uns, mehr noch, zerrt uns ins Blickfeld zurück. Die Zeit! Die Jahre, als ich noch auf der anderen Seite war, sind mir immer noch in Erinnerung. Ein Seelenfünklein. „Seht doch nur!“, ruft einer der an der Reling Stehenden, zeigt mit dem Finger in unsere Richtung und meint es doch nicht. Das, genau das, weiß ich jetzt, hinter Glas. Und sowohl die Gier als auch die Augen der an der Reling Stehenden folgen seiner Aufforderung und seinem Finger. Dringen ein. In ein – als gelänge dies – Zeit vertreibendes Spiel. In Treibendes, das nicht spielt, nur nicht ankommen will. Nichts von diesen Kräften gerät in die Ritzen. Und wir, meine Flasche und ich, ihr wisst es ja längst. Glotzen. Während Hände sich an der Reling festhalten. Macht. Los. Enthalten.
Mit keinem Laut werde ich bemerkt. Und doch kann ich nie mehr wieder still sein. Wie meine Flasche, die im Gegensatz zu mir Schweigen bewahrt und in ihrem Schweigen bemerkt wird. Hin und wieder. Von denen da, dort oben auf dem Schiff. Von denen da, die frei sind, darin, mit der Freiheit zu spielen, außerhalb ihres Hafens, eines Hafens überhaupt. Deshalb rede ich jetzt zu euch. Vielleicht seid ihr nur ich. Das macht aber nichts. Nah und fern sind kaum noch räumlich auszumachen. Weite, die der Enge trotzt. Fisch und Fleisch sind kaum noch auseinander zu halten, nur im gläsernen Hohlraum, nah bei Weder und Noch, dicht vor meinen Augen, die trotz ihrer nicht beizukommenden Drängelei in jeden Vordergrund wenig mit der Sache zu tun haben. […]